Am Anfang war da diese Liste: „Interessenten Waldkindergarten in Endingen“. „Klingt gut“, dachte ich und hab uns eingetragen – nicht wissend auf was ich mich in diesem Moment eingelassen habe. Da war mein Sohn noch nicht einmal ein halbes Jahr alt. Um kurz das Happy End vorweg zu nehmen: er ist jetzt vier und ein sehr glückliches Waldkind!
Im Nov. 2014 kam eben dieser Sohn zur Welt und mein Mann und ich waren erst ein halbes Jahr vorher nach Endingen gezogen. Wir kannten kaum jemanden. Um so glücklicher war ich, als die Frau des Demeter Winzers, die ich kennengelernt hatte, weil ihr Sohn quasi gleichzeitig mit meinem zur Welt kam, mit mir zusammen das BabyCafe ins Leben rief. Veranstaltungsort war deren hofeigenes Café. Hier trafen wir Mütter uns mit unseren Babys zum quatschen (was sonst?). Hier lag auch diese Liste aus. Woher kam die eigentlich? Heute weiß ich es: eine diplomierte Forstwirtin – selbst Mama von damals zwei Kindern – mit waldpädagogischer Ausbildung und Ur-Endingerin, träumte schon lange von einem Waldkindergarten in Endingen. Sie war (und ist) Fleisch und Blut dieses Kindergartens. Und genau genommen müsste sie diese Zeilen schreiben. Sie rannte mit ihrer Vision bei der Winzerfamilie offene Türen ein. Da deren 1. Spross eben auch geboren war, beschlossen sie, die Entstehung des Waldkindergartens gemeinsam in Angriff zu nehmen. Da war sie nun: die Liste.
Als die Liste im Nov. 2015 ausreichend gefüllt war (hauptsächlich mit Kindern des BabyCafes), beschloss der Winzer zusammen mit der Forstwirtin ein Treffen der Interessierten zu veranstalten, auf welches mein Mann und ich natürlich auch geladen wurden.
Erst jetzt fingen mein Mann und ich an, uns mit dem Thema Waldkindergarten zu beschäftigen. Bis dahin war die ganze Kindergartensache noch weit weg für uns – war unser Junior doch erst 1. Plötzlich fielen uns 1000 Gründe ein, ihn nicht in einem Waldkindergarten unterzubringen. Um nur ein paar zu nennen (und auch gleich die Gegenargumentation):
Thema Hygiene: „Da gibt’s ja kein fließendes Wasser!“ Richtig und auch falsch. Wasser gibt’s immer, nur eben nicht aus dem Hahn, sondern aus der Kanne (im Winter warm), die die Eltern im wöchentlichen Rotationsystem befüllen und morgens mitbringen. Außerdem gehen die Kinder meistens nicht aufs Klo sondern an den Baum, an dem sie nur mit ihren eigen Keimen kommen. Mein Sohn hatte seit er im Waldkindergarten ist, nicht einen Magen-Darm-Infekt (wenn das mal nicht Grund genug ist!).
Womit ich beim nächsten Thema wäre, das uns beschäftigt hat: „Die sind doch ständig krank!“ Das Gegenteil ist der Fall. Die Kinder entwickeln draußen ein Super-Immunsystem – ernsthaft! Nicht, dass mein Sohn seit Waldkindergarteneintritt nicht einen Magen-Darm-Infekt hatte, er hat auch sonst kaum grippale Infekte (genau wie seine Waldkollegen*innen, übrigens). Dazu kommt, dass sich Viren an der frischen Luft quasi nicht vermehren und übertragen. Die gute Luft tut ihr Übriges. Die Kinder sind „pfupferlgsund“.
Thema 3 war: „Die Kinder lernen doch nie still zu sitzen (Schule)!“ Auch hier ist das Gegenteil der Fall. Studien belegen sogar, dass die Kinder, die einen Waldkindergarten besucht haben, sich wesentlich besser konzentrieren können. Ganz nach dem Motto „gestillte Bedürfnisse verschwinden“, um es mit meiner Hausfrauen-Weisheit zu belegen.
Und so ging das zwischen meinem Mann und mir Hin- und her – wir haben uns da tatsächlich etwas reingesteigert… Naja… Der Tag der Versammlung kam und ich ging hin. Raus ging ich als Schriftführerin (also Vorstandsmitglieddes Vereins) des neu gegründeten Fördervereins Wurzelkinder e. V., 1. Vorsitz hatte die Forstwirtin, Kassenwart ist der Winzer und den 2. Vorsitz hat ein weiterer (damals) völlig unbedarfter Papa inne.
Nun folgten viele, viele Vorstandssitzungen. In denen am Konzept, den Öffnungszeiten, dem Logo, dem passenden Ort, der Sicherheit im Wald, Zuständigkeiten und noch vielen anderen Dingen gefeilt wurde. Im Grunde war aber der nächste wirklich große und bahnbrechende Schritt, dass die Forstwirtin ein Grundstück gefunden hatte, das wirklich perfekt für einen Waldkindergarten ist! Eine „Matte“ (Wiese) umgeben von Wald und Wiese und trotzdem angeschlossen an einen asphaltierten Weg, der auch im Winter super mit „normalen“ Autos befahrbar ist. Da kam uns unsere herzförmige Perle sehr gelegen. Das Grundstück befand sich in Privathand. Die Stadt Endingen, die letztendlich Träger des Waldkindergartens wurde, kaufte das Grundstück.
Natürlich waren wir kurz davor einen Bauwagen zu kaufen, aber auch mit dieser Lösung war keiner so richtig glücklich. Der Winzer ist ein großer Fan von der sog. Strohballen-Bauweise. Das ist eine Holzständer-Bauweise, bei der die Dämmung aus Strohballen besteht. Verputzt werden diese Häuser schlicht mit Lehm (zum Bau unseres Wurzelstübchens gibt es einen eigenen Artikel vom Winzer). Gesagt, getan? Nein, so einfach war das natürlich nicht. Wir brauchten Geld. Denn sowohl der Bauwagen hätte Geld gekostet, als auch Bausatz für die Hütte. Nun kam der Moment, in dem wir uns dazu entschlossen, dass Konzept an die Stadt Endingen zu „verkaufen“. Wichtig dabei war uns, unseren Einfluss nicht verlieren. Da die Stadt dringend Kindergartenplätze brauchte, wurden uns kaum Steine in den Weg gelegt. Im Gegenteil: wir erfuhren große Unterstützung und weitgehend freie Hand. Also kauften wir einen individuell gefertigten Bausatz für eine Hütte in Strohballen-Bauweise, die vom Architekten Oliver Heizmann geplant wurde. Was jetzt teuer klingt, ist für eine Stadt, die Kindergartenplätze braucht, immer noch die günstigere Lösung, im Gegensatz zu einem „richtigen“ Kindergartengebäude (oder Anbau) mit Außenanlage. So etwas verschlingt Millionen. Übrigens ist auch der laufende Betrieb eines Waldkindergartens wesentlich günstiger, als Regelkindergärten zu betreiben (Strom, Wasser, Heizung etc. = 0€). Unser Waldkindergarten kratzte im Aufbau noch nicht einmal an der 50.000€-Marke – und wir haben (das kann man nicht anders sagen) Die Deluxe-Version eines Waldkindergartens gebaut.
Gebaut? Ja, gebaut! Wie oben schon erwähnt: wir bekamen einen BAUSATZ! Dieser musste ja auch noch aufgebaut werden. Und hier kommt die Stelle, an der ich voller Stolz sagen darf, dass das die Gründungsmitglieder des Fördervereins in unermüdlicher Eigenleistung erschaffen haben. Das war ein wirklich beeindruckendes Erlebnis, an dem eine tolle Elternschaft entstand. Es wurde gebuddelt, Fundamente gegossen, Drähte gebogen, gemessen, gesägt, gebohrt, gehämmert, geschraubt, mit Lehm gematscht mit Strohballen gekämpft. Bis endlich das wunderschöne Wurzelstübchen stand. Man muss dazu sagen, dass wenn wir den Bausatz hätten aufbauen lassen, der Kindergarten im Aufbau weit über 50.000 € gekostet hätte. Die Zeit und der Einsatz der Eltern war also im wahrsten Sinne des Wortes „Gold wert“.
Durch eine glückliche Fügung wurde uns von der Firma Kunde Ofenbau (https://kunde-ofenbau.de/) ein Firetube (http://www.firetube.de/home.html) – also ein individuell gebauter Kaminofen – zur Verfügung gestellt, so ist es im Winter schön warm im Wurzelstübchen.
Der Winzer hat sich zudem für eine Komposttoilette eingesetzt, welche wir nicht selbst gebaut haben. Für Komposttoiletten gibt es Lieferanten, bei denen man diese bestellen kann. Geliefert wird am Stück. Das kann man sich ein bisschen so vorstellen, wie ein Chemietoiletten-Häuschen, nur aus Holz (also tatsächlich recht anschaulich, mit Herzchen in der Tür) und viel weniger, also eigentlich gar nicht, geruchsintensiv.
Die nächste größere Herausforderung war die personelle Besetzung des Kindergartens. Eine Entscheidung, in die vor allem die Forstwirtin einbezogen werden sollte, da sie später einmal im Waldkindergarten arbeiten sollte. So wurde mit Hilfe der Stadt eine Stellenausschreibung für die Leitung des Waldkindergartens und für eine/n Erzieher*in geschaltet und es gab unglaublich viele Bewerbungen auf die Stellen. An den Vorstellungsgesprächen hatten je zwei Vorstandsmitglieder einen Beisitz. Wer die Wahl hat, hat die Qual. Es war nicht ganz einfach, letztendlich wurde aber ganz sicher die richtige Entscheidung getroffen. Auch hier haben wir wieder tolle Erfahrungen mit der Stadt Endingen gemacht.
Im Herbst 2016 wurde der Waldkindergarten Wurzelkinder in Endingen eröffnet und startete mit sechs Kindern, einer Leitung (60%), der Forstwirtin (40%) und einem Erzieher in den täglichen Betrieb. Übrigens alles Kinder, die auf der ursprünglichen Liste standen. Die „Mischung“ der Kinder war übrigens auch ein kleines Meisterstück der Forstwirtin. Ihre eigene Tochter und noch zwei weitere Kinder aus Regelkindergärten wechselten in den Waldkindergarten, so dass die Gruppe nicht nur aus Dreijährigen bestand. Das ausgewählte Personal hat (und macht ihn natürlich immer noch) zudem einen super Job gemacht. Im Nu war ein Kingergarten-Alltag geschaffen, in dem sich sowohl Kinder, als auch die Eltern wohl fühlen.
Mittlerweile steht der Waldkindergarten, er wächst, er entwickelt sich stetig weiter. Der Förderverein musste natürlich seine Satzung ändern vom „Aufbau des Waldkindergartens“ zur „Unterstützung des Waldkindergartens“. Auch meine Auffassung von Kinderbetreuung hat sich grundsätzlich geändert. Die kleinen Matschmonster draußen ausgeglichen, glücklich, losgelöst und kreativ zu erleben, bestätigt mich jedesmal in unserer Entscheidung.